Ich bekam den Roman "Die Klavierspielerin" von einer Freundin geschenkt, die nach ungefähr der Hälfte aufgab. Ich gab nicht auf, aber ich warf zum ersten und bisher einzigen Mal in meinem Leben ein Buch in den Müll: dieses. Es ist eine traurige Geschichte, auch eine böse Geschichte, über menschliche Verzweiflung, Wut und Haß, eine Geschichte über vermeintliches Versagen, über Macht und Ohnmacht der Protagonisten. Das allein genügt schon, um zu wissen, es ist kein gefälliges, schönes Buch, keines, das bequem zu lesen wäre. Muß es auch nicht sein, aber Jelinek verschärft dies alles noch mit einer geradezu unerträglich brutalen, pornographischen, so hasserfüllten Sprache, daß es beinahe schmerzt, weiterzulesen.
Der bisher am häufigsten zitierte Satz in der Begründung für die Vergabe des diesjährigen Literatur-Nobelpreises lautet:"...für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen..." Die Reaktion kann nur ungläubiges Staunen sein, wenn man die Haßtiraden der Klavierspielerin auf ihre Mutter vor sich sieht, die Beschimpfungen zwischen Lehrerin und Schüler, die wie mit Glasscherben geschnittenen Gedanken, die sie auf ihren nächtlichen Voyeur-Streifzügen hat. Wenn wir beim Beispiel der Musik bleiben, ist dies alles so atonal, daß man Arnold Schönberg für einen Meister der Harmonie hält!
Bekommt man den Literatur-Nobelpreis für Unbequemlichkeit? Man kann es fast annehmen. Böll war ein schwieriger, unbequemer Geist, ebenso ist es Grass. Aber beide haben durchaus poetische Qualitäten, die man bei Jelinek weit und breit vergeblich sucht, es sei denn, im negativen Sinne.
Oder bekommt man ihn für Mut? Für den Mut, sich in den tiefsten menschlichen Abgründen zu suhlen, einer psychischen Kloake, und diese dann so aufs Papier zu kotzen, daß Bukowski neidisch würde?
"...für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen..." Ich erlaube mir nicht, die Entscheidung der Jury eine Fehlentscheidung zu nennen, dies wäre wohl vermessen. Aber ich erlaube mir, mich darüber zu wundern und mich zu fragen, wer einen solchen Satz in die Begründung dieser Preisvergabe geschrieben hat. Der Nobelpreis ist die höchste Auszeichnung für besondere Leistungen auf einem bestimmten Gebiet. Jelinek benutzt ihre Sprache als Waffe gegen den Leser, sie verletzt und reisst tiefe Wunden, ohne eine Heilung zu erfahren. Es hätte andere für den Nobelpreis gegeben. Andere - und bessere Autoren, weitaus bessere!