Woran denken Sie bei "Einer flog über das Kuckucksnest"? An Jack Nicholsons Grinsen aus Milos Formans kongenialer Verfilmung des Buches! Wer kennt es nicht, dieses Paradestück einer gelungenen Literaturverfilmung? 1975 gab es dafür fünf Oscars, und das zu Recht, denn dieser Film ist ein Meisterwerk!
Aber kennen Sie auch die Vorlage? Wenige wissen, dass es überhaupt eine gibt und kaum einer hat sie gelesen. Das sollte sich dringend ändern!
Die Story ist nahezu identisch: Randall McMurphy, ein notorischer Spieler, Draufgänger und Tunichtgut, ungehobelt aber schwer in Ordnung, der sich von Gaunerei zu Schlägerei zu Knast hangelt, lässt sich aus dem Gefängnis unter Vortäuschung von Geistesgestörtheit in die Psychiatrie einweisen. Er malt sich aus, dort ein leichtes, sorgenfreies Leben zu haben und nach Verbüßen seiner Haftstrafe im Handumdrehen wieder draussen zu sein.
Er trifft dort auf einen Haufen Männer, die nur eins gemeinsam haben: sie alle stehen unter der Fuchtel von Schwester Ratched, die sich als vorbildliche und fürsorgliche Oberschwester gibt, aber mit subtiler und gnadenloser Härte die Station führt.
Dies tut sie mittels psychologischem Druck auf die Patienten, deren Neurosen und Psychosen sie unter dem Vorwand der Therapie auf kleiner Flamme am Köcheln hält, einem Apparat ihr höriger Pfleger und eingeschüchterter Ärzte, einem einfachen aber unumstößlichen Regelwerk, dass keine Ausnahmen kennt und duldet sowie einem milden Lächeln im Gesicht. Man nennt sie die Große Schwester, was an George Orwell denken lässt.
McMurphy, weder psychisch krank noch bereit sich anzupassen, den noch keine Besserungsanstalt und kein Knast gefügig machen konnten, gerät in das präzise abgestimmte Räderwerk von Schwester Ratcheds Station, wo er sich nicht erst entscheiden muss, ob er Sand oder Öl sein will! Er ist Kies und die Zahnräder knirschen!!!
Dieser Roman ist um einiges vielschichtiger als der Film! Er übt grundlegende Kritik daran, wie in modernen westlichen Gesellschaften mit psychisch Kranken umgegangen wird, indem man sie lediglich verwaltet oder an ihnen herumexperimentiert (Elektroschocks und Lobotomie werden als völlig sinnlos und unmenschlich gebrandmarkt). Er stellt hierarchisch strukturierte Systeme, in denen Machtgefüge oft einzig dem Zweck dienen, sich selbst zu erhalten, an den Pranger. Und er ist ein Plädoyer für die persönliche Freiheit und Würde des Einzelnen. Ein Meilenstein!