Nicht weniger als 9 Handlungsstränge durchziehen diesen äußerst beeindruckenden und spannend erzählten Roman. Mitchell spielt mit den Klischees der Genres, ohne sie überzustrapazieren und bedient sich dabei sehr moderner Erzählstrukturen.
Weltliche Endzeitstimmung: Ein Giftgasanschlag auf eine U-Bahn in Okinawa, geplant und verübt durch Quasar, ein von Wahnvorstellungen eingeschränktes Sektenmitglied. Er flieht, taucht unter, sorgt sich, als führende Sektenmitglieder verhaftet werden. Als ihm das Geld ausgeht, wählt er die vereinbarte Telefonnummer. Ob diese von vornherein ein Fake war, bleibt unklar, denn wo landet er: Bei Satoru; in seinem Schallplattenladen in Tokio bricht gerade ein Tag an wie jeder andere. Erlesenste Jazz-Scheiben werden aufgelegt und Oolong-Tee dazu getrunken. Dieser fliegt nach Hongkong, nachdem er die Kirschblüte in seiner Stadt genossen hat, um seine Freundin zu besuchen. Dort sitzen sie im gleichen Cafe wie Neal, ein unsympathischer, unlauterer Banker, der auf geheimen Konten Schwarzgeld hin- und herschiebt, aber innerhalb der Story einen wirklich schwerwiegenden Entschluss fasst.
Jeder der neun Teile stellt einen anderen Handlungsstrang des Buches dar, einen neuen Ich-Erzähler vor, der je eine entscheidende Wendung in seinem Leben erfährt und in einem komplett anderen Milieu angesiedelt ist. Die verschiedenen Welten der jeweiligen Protagonisten beschreibt Mitchell uneingeschränkt überzeugend.
Den Text insgesamt durchzieht eine untergründige Endzeitstimmung, eine Art Aftershowparty der Postmoderne am Anfang des 21. Jahrhunderts. Die Welt schliddert in einen 3. Weltkrieg. Manche kriegen es gar nicht mit, manche verkriechen sich und wollen es nicht wahrhaben. Die Hirne der einflussreichsten Menschen sind mit Irrsinn, Größenwahn und Leichtsinn durchsetzt, eine ungesunde Mischung bei technischer Allmacht.
Einer der aufwühlendsten Parts ist das Leben einer `Noncorpora`. Eine rein geistige Wesenheit, eine Seele evtl., die bei Berührung zweier Körper seinen Wirt wechselt, dessen Erinnerungen durchforstet und eigentlich nur auf der Suche ist nach seinem eigenen Ursprung.
Mitchell erinnert an Lem, wegen der Dialoge zwischen Maschinen, Menschen und Seelen, an Burroughs, weil die Teile manchmal so scheinbar unzusammenhängend aneinandergereiht sind und an Interzone erinnern; und an Filme von Wong Kar-Wei, wegen des Wahnsinns im paranoiden, nächtlichen Hongkong.