Ich lese gerne Biographien und Familiensagas. Zunächst war ich skeptisch, als ich von Mary L. Trumps Buch hörte. Schon mit gesundem Menschenverstand kann man sehen, wie gefährlich der momentane US-Präsident, ihr Onkel, ist. Würde ich Neues erfahren? Welche Intention bewegt diese Frau, seine Nichte? Üblicherweise gilt ein solches Verhalten als Nestbeschmutzung der übelsten Art. Aber als Klinische Psychologin ist sie Fachfrau; das Buch versprach somit interessant zu werden.
Mal im Ernst, wirklich viel Neues an Erkenntnissen erhält das Buch nicht. Aber es erhält einen neuen Dreh durch die Innenansicht eines Familienmitglieds und tatsächlich auch eines Opfers dieser Familientragödie. Wirklich interessant ist die gesamte Familiengeschichte, der Hintergrund dafür, wie ein Mensch so brutal, herablassend, selbstgefällig, Frauen verachtend, sich selbst verklärend und gefährlich werden kann, wie Donald Trump es nun mal ist, um nur einige seiner Eigenschaften aufzuzählen.
Wer in einem so lieblosen und emotional toten Umfeld aufwächst, kämpft sein Leben lang um die Liebe der Eltern, um Wahrnehmung und Anerkennung durch sie. Kinder beginnen irgendwann zu glauben, was Eltern ihnen als ihre Sicht auf das Kind einbläuen. Bekommt ein Kind wiederholt mitgeteilt, wie ungenügend es ist, wird es das eines Tages glauben. Umgekehrt glaubt ein Kind, das erhöht wird, auch das: Es sei etwas ganz Besonderes, auch wenn es das eigentlich nicht ist, wenn die Fähigkeiten, die ihm unterstellt werden, in Wahrheit nicht gegeben sind.
Phasenweise hatte ich tiefes Mitgefühl mit diesen Kindern. Die eisige Kälte und Brutalität des Elternhauses erschütterten mich derart, dass ich immer wieder lange Pausen während des Lesen einlegen musste.
Und dann ist da die Passage, in der sie schreibt, dass Donalds Verhaltensweisen zu seinem Charakter wurden.
Er leidet, unbewusst, und weigert sich zur gleichen Zeit, sich dies einzugestehen. Könnte er dies, so wäre er vielleicht bereit, an sich zu arbeiten. Aber nein, er überhöht sich selbst.
Dieser Mann ist brandgefährlich für die Welt.
Ein Zuviel an Lieblosigkeit, Mangel an Wertschätzung und Respektlosigkeit durch die Eltern führt in der Seele zu einem Nie-Genug an Buhlen um Liebe und Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Wer dieses Buch gelesen hat, erkennt die Intention der Autorin. Sie will wachrütteln. Sie will ihr Land schützen. Denn offenbar gibt es in Donald Trumps Umfeld niemanden, der bereit ist, ihn aufzuhalten, sich gegen ihn zu stellen.
Die Nichte wagt es, sie hat, folgt man ihrer eigenen Biographie, die in dem Buch anklingt, bezogen auf diese Familie nichts zu verlieren.
Nüchtern betrachtet sie die Familienkonstellation, die Geschwisterkonstellation. Im Wesentlichen stehen der Älteste und der Zweitjüngste im Fokus. Sie zeigt anschaulich auf, was geschieht, wenn das erstgeborene Kind nicht den Erwartungen der Eltern entspricht und dafür bestraft wird, wie die Geschwisterfolge umgestellt wird, einer zum Liebling des übermächtigen Vaters wird und welch katastrophale Folgen das auf das gesamte Familiensystem hat.
Erzählend, beschreibend fließt die psychiatrische Sicht mit ein. Unauffällig geradezu. Dennoch, viele Familien auch in Deutschland kennen das Beschriebene, mal in die eine, mal in die andere Richtung anders. Jede Familie ist einzigartig.
Aber wer Teile dieser lieblosen, zuwendungsarmen, autoritären Familiengeschichte aus eigener Anschauung kennt, wird Zeit brauchen beim Lesen.
Ich gebe fünf Sterne, das Buch ist überaus lesenswert.
Soll Niemand hinterher sagen, er habe von nichts gewusst. Die Katastrophe leuchtet bereits am Horizont auf.