Meine Meinung:
Selten hat mich ein Buch von der ersten Seite an so gefesselt, dass ich mir gleich noch das Hörbuch geholt habe. So konnte ich weiterhören, wenn ich keine Zeit zum Lesen hatte.
Kai Meyer hat hier ein ganz besonderes Werk geschaffen auf drei Zeitebenen, 1933, 1943 und 1971, spielt. Geschickt fügen sich die einzelnen Stränge ineinander und lassen ein Epos über Bücherliebe, Fanatismus, Vertrauen, Intrigen, Freundschaft, Liebe und Geheimnisse entstehen.
1933 leben Jakob Steinfeld und Grigori Gomorov im graphischen Viertel von Leipzig. Ein Stadtteil in dem scheinbar nie die Sonne scheint, weil der Rauch der Schornsteine der Druckereien den Himmel schwärzt. Hier betreibt Jakob eine kleine Buchbinderei in dritter Generation. Die Mitglieder der Verlegerfamilie Pallandt kreuzen immer wieder seinen Weg. Der Patriarch will sein Haus kaufen, der Sohn Maximilian macht ihm als aufstrebender Nazi das Leben schwer und die Tochter Juliana bittet ihn um einen Gefallen.
In diesem Zeitstrang schildert der Autor eindrucksvoll, wie die Nazis durch kleine und große Verbrechen an die Macht kommen und wie gefährlich das Leben damals war.
1943 rettet ein maskierter Mann einen Jungen aus einer brennenden Villa in der er 10 Jahre lang eingesperrt war. Der Mann und der Junge bilden fortan so eine Art Zweckgemeinschaft und retten Bücher aus zerbombten Häusern, um ihr Leben zu finanzieren.
1971 entdecken Robert und Marie in der Bibliothek des verstorbenen Konrad Pallandt Bücher aus der Buchbinderei von Jakob Steinfeld, Roberts Vater. Gemeinsam gehen die Beiden auf eine Suche nach Antworten zu Roberts und Jakobs Vergangenheit.
Der Autor versteht es, wie nur wenige, mit Worten Bilder zu malen. Ich konnte die Feuersbrunst in Leipzig förmlich spüren, den Duft der Bücher riechen und schmecken. Das Meer rauschen hören. Dieses Buch entwickelte einen Sog auf mich, wie "die unendliche Geschichte" auf Bastian. Ich fühlte mich regelrecht hineingerissen in die Geschehnisse dieses Buches. Konnte nicht aufhören mitzufiebern, zu rätseln, zu staunen, zu leiden, zu träumen, zu lieben... Für mich war es ein Ritt durch 1000 Emotionen und Geheimnisse.
Der Schreibstil ist trotz des Detailreichtums flüssig zu lesen und es versteckt sich nicht die kleinste Länge im Buch. Mit jedem beendeten Kapitel war der Sog ins nächste so groß, dass ich am liebsten alles im wirklichen Leben vergessen hätte, nur um weiter zu erfahren, wie es den Protagonisten ergeht.
Jeder Einzelne von ihnen ist mir ans Herz gewachsen, besonders aber Jakob und Grigori. Und sogar die weniger sympathischen Charaktere, die Gegenspieler und Halunken, waren doch auf ihre eigene Weise sympathisch oder zumindest nicht unangenehm. Die einzelnen Schicksale haben mich tief berührt und mich erschüttert zurückgelassen. Was Fanatismus Menschen antun kann, ist einfach nicht zu fassen.
Besonders gut hat mir gefallen, dass so manches Geheimnis nicht gelüftet wird. Ich hatte aber nie den Eindruck, dass dies zwingend nötig ist. Ganz oft lassen ungelöste Geheimnisse ja einen faden Nachgeschmack. Hier ist genau das Gegenteil - die Geschichte hat dadurch ein rundes Ende gefunden.
Fazit:
Die Bücher, der Junge und die Nacht hat mich gepackt, auf eine geheimnisvolle Reise mitgenommen und am Ende tief berührt zurückgelassen. Eine absolute Leseempfehlung von mir!