Michael Köhlmeier beweist mit seinem neuen Roman Die Verdorbenen erneut, dass er die Kunst der kurzen Form beherrscht. Bekannt unter anderem auch für umfangreiche Werke, widmet er sich hier einer kompakten Erzählung, die das Leben von Johann und insbesondere seine turbulente Zeit als junger Erwachsener beleuchtet. Auf nur wenigen Seiten schafft Köhlmeier ein vielschichtiges Psychodrama, das von Spannungen zwischen den Figuren und wechselhaften Beziehungen geprägt ist.
Der Roman beginnt mit einem prägnanten Dialog zwischen Johann und seinem Vater. Als dieser ihn fragt, was er sich vorgenommen habe, zumindest einmal im Leben zu tun, bleibt Johann die Antwort schuldig. Doch innerlich formuliert er eine düstere Vision: Eines Tages möchte er einen Mann töten. Diese verstörende Offenbarung legt den Grundstein für die Erzählung und deutet darauf hin, worauf die Geschichte unausweichlich zusteuert. Ob Johann seinen Wunsch tatsächlich erfüllt, bleibt jedoch lange unklar, denn Köhlmeier konzentriert sich zunächst auf die Schilderung von Johanns Werdegang.
Als Student zieht Johann in eine fremde Stadt und knüpft dort enge Kontakte zu Christiane und Tommi. Die drei entwickeln eine ungewöhnliche Dreiecksbeziehung, die von schwankenden Gefühlen und durchaus auch gegenseitiger Apathie geprägt ist. Köhlmeier illustriert diese Beziehung mit Präzision und feinem Gespür für die zwischenmenschlichen Untertönen der Figuren. Mal scheint Tommi die Kontrolle zu haben und Christianes Aufmerksamkeit zu gewinnen, mal rückt Johann in den Vordergrund, nur um sich plötzlich wieder zurückzuziehen. Immer wieder entsteht der Verdacht, dass die Charaktere sich gegenseitig ausnutzen und ein falsches Spiel miteinander treiben. Dieser ständige Wechsel der Machtverhältnisse sorgt für eine unterschwellige Spannung, die den Leser fesselt und die Handlung vorantreibt.
Johann selbst ist eine ambivalente Figur. Er erscheint als kluger und zielstrebiger junger Mann, gleichzeitig aber auch als egozentrisch und manipulativ. Seine Fixierung auf sich selbst durchzieht den gesamten Roman und lässt ihn selten sympathisch wirken. Auch sein Interesse an Christiane scheint weniger aus echter Zuneigung, sondern vielmehr aus eigennützigen Motiven zu entspringen. Köhlmeier zeichnet Johann mit einer Schärfe, die den Leser zugleich fasziniert und abstößt. Außerdem gelingt es dem Autor, die inneren Konflikte und psychologischen Feinheiten der Figuren auf kleinem Raum zu schildern. Dabei bleibt die Handlung selbst überschaubar, was dem Roman eine fast kammerspielartige Intensität verleiht.
Trotz der gelungenen Figurenzeichnung und der atmosphärischen Dichte erreicht Die Verdorbenen zwar nicht die erzählerische Tiefe von Köhlmeiers größeren Werken, stellt aber gleichwohl eine kurze, prägnante Studie über junge Menschen dar, die auf der Suche nach sich selbst und ihren Träumen alles riskieren, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Für einen Roman, den man nebenbei lesen kann, ist Die Verdorbenen eine exzellente Wahl. Köhlmeier liefert eine kleine, feine Erzählung, die durch ihre ungewöhnliche Figurenkonstellation und die psychologische Spannung überzeugt.