Und zweitens Felix Saltens Klassiker, Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer Wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt - aus dem Jahr 1906. Salten - der auch Bambi und Perry schrieb, Geschichten, die von Walt Disney verfilmt wurden, weswegen ich vermute, dass Disney auch die Rechte für die Mutzenbacher-Verfilmung innehat, die uns eines Tages via Touchstone erreichen könnte - verfasste hier einen echten Klassiker. Leider hat es noch kein Mann geschafft, das Buch jemals zu lesen, ohne mehrfach Hand an sich zu legen, und dann das Buch, wie eine Halbweltdame, mit der man sich gegen seinen Willen eingelassen hat, wieder ins Regal zu stellen.
Es brauchte 100 Jahre, bis eine österreichische Schauspielerin es schaffte, dieses Buch aus der Schund- und Schrottkiste der selbstbesudelten Kritiker herauszufischen und ihm seinen literarischen Glanz zurückzuerstatten. In der Lesung auf zwei CDs aus dem Jahr 2006 gelingt es Ulrike Beimpold diesen Schelminnenroman erfolgreich zurück aufs Klassikerregal zu hieven, als den Roman eines menschlichen Triumphs über alle gesellschaftlichen Hindernisse und der schonungslosen Aufdeckung gesellschaftlicher Verlogenheiten. Auch der männliche Leser steht entblößt da, weil er sich an der Mutzenbacherin mitschuldig gemacht hat. Bei Beimpold allerdings entgeht er diesem Schicksal, er darf mitlachen und sich mit der Heldin der Geschichte mitfreuen. Die Machtverhältnisse, die sich scheinbar so sehr zu Ungunsten der Dirne gewandt hatten, werden als Schein und Lüge enttarnt, am Ende hat die Mutzenbacherin sie alle besiegt. Es ist Saltens Meisterwerk, und lässt Bambi und seine anderen Tierbücher weit hinter sich. Es ist Literatur in der Verkleidung der Pornographie.