Wie schon in seinem letzten wundervollen Buch Am Beispiel meines Bruders, ebenfalls bei Kiepenheuer und Witsch erschienen, spannt Uwe Timm auch in seiner neuen Erzählung den literarischen Rahmen von sich selbst, seiner eigenen Lebensgeschichte zu der Geschichte einer anderen, ihm nahestehenden Person, und verwebt sie beide zu einem einzigartigen Stück der Gegenwartsliteratur.
Die nahestehende Person ist in diesem Buch sein Freund Benno Ohnesorg, der durch die tödlichen Schüsse des Berliner Polizisten Kurras während einer Demonstration gegen den Besuch des persischen Schah am 2. Juni 1967 ums Leben kam, und dessen Tod seither untrennbar mit der Radikalisierung der Studentenbewegung verbunden ist und es auch für immer bleiben wird.
Uwe Timm beschreibt die gemeinsamen Jahre in einem Braunschweiger Kolleg, die enge Freundschaft, die gemeinsamen literarischen Interessen und Schreibversuche. Er lässt dabei einen Teil der deutschen Geschichte vorbeiziehen und verknüpft es, viel stärker noch als in Am Beispiel meines Bruders mit einer ehrlichen Autobiographie. Der Leser erfährt vom Schicksal des Kürschnerlehrlings Timm, der nach dem frühen Tod des Vaters dessen verschuldete Firma saniert, danach aber seinem Traum folgt, ein Schriftsteller zu werden.
Er liest von seinem Studienjahr in Paris, der Begegnung mit dem Existentialismus, der auch für sein politisches Leben prägend wird, und von Jahren der langsamen Radikalisierung .
Uwe Timm hat für diese Erzählung, die er nach eigenen Angaben nach zahlreichen vergeblichen Versuchen erst jetzt schreiben konnte, weil er erst jetzt wagte, sie mit seiner eigenen Biographie zu verbinden, viele Menschen aufgesucht und gesprochen, die mit dem damaligen Geschehen zu tun hatten. Sogar vor der Wohnung von Kurras stand er, zog aber unverrichteter Dinge wieder ab.
Dort, wo Timm Geschichte reflektiert, bleibt er immer der Dichter, mit einer wundervollen Sprache, von der man gerne noch mehr lesen würde.
Nur angedeutet wird von ihm allerdings seine eigene Rolle in der Studentenbewegung; er erwähnt, daß auch er sich zeitweise in Splittergruppen und ideologien verlor.
Vielleicht lesen wird in seinem nächsten Buch etwas von diesem Teil seiner Biographie. Vielleicht aber wird auch Joschka Fischer schneller sein. Der aber ist kein Dichter.
Ein absolut empfehlenswertes Buch.