Gerd Lüdemann, der protestantische Ketzer, der seit Jahren mit der Evangelischen Kirche und dem Land Niedersachsen einen Rechtsstreit um die Aberkennung seiner Lehr- und Prüfungsberechtigung führt, hat schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass er, nun in einer anderen Verlagswelt zu Hause, mit Thesen reüssiert, die einer erstaunten Öffentlichkeit glauben machen, sie seien sozusagen der dernier cri der neutestamentlichen Wissenschaft.
So auch in dem vorliegenden Buch, wo er akribisch nachweist, warum die Apostelgeschichte nicht geeignet ist zur Rekonstruktion der ersten Jahre des Christentums, sondern dass die relecture der echten Paulusbriefe für diese Rekonstruktion die bessere und authentischere Quelle darstellt.
Der Rezensent hat diese Erkenntnisse schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Mainzer Theologiestudent von Herbert Braun und dessen Schülern Luise Schottroff und Gerd Petzke vermittelt bekommen. Es ist mir deshalb nicht nachvollziehbar, warum dieses Buch überhaupt nötig ist außer als weiterer Publikationsnachweis eines "rebellischen" Theologen. Wobei man sich fragen kann, ob er sich überhaupt noch als solcher versteht.
Von den "ersten drei Jahren Christentum" zu sprechen, diese Zeit die "Frühzeit der christlichen Kirche" zu nennen ist nicht angemessen. Das Christentum und die Herausbildung von so etwas wie einer Kirche mit ihrer entsprechenden Hierarchie sind soziologische Phänomene, die sich viel später etablierten. In der in Frage kommenden Zeit der ersten drei Jahre nach dem Tod von Jesus gab es, durchaus konkurrierende, da hat Lüdemann recht, Bewegungen und ein jüdischer Theologe namens Paulus hat versucht, nach einem dramatischen Umkehrerlebnis, dem eine Art übergreifende Deutung zu geben, die dann letztlich siegreich war.
Der Schriftsteller Peter Henisch hat in diesem Jahr mit seinem Roman "Der verirrte Messias" eine lesenswerte fiktionale Variante dieses Geschehens bei Deuticke vorgelegt.
Mir ist nicht klar, für welche Zielgruppe dieses Buch von Gerd Lüdemann gedacht ist. Mit seinen KollegInnen aus der neutestamentlichen Wissenschaft diskutiert er seit langem nicht mehr, und für Laientheologen ist es zu speziell und exegetisch.