Schlaf ist das zentrale Thema in diesem Buch. Immerhin verbringen wir fast ein Drittel unseres Lebens damit. Der Schlaf bringt nicht nur Träume und Albträume hervor, es gibt Menschen die schlafwandeln, im Schlaf sprechen, unter Schlafstörungen leiden oder in einen komatösen Schlaf sinken können, wenn die äußeren Umstände passen. Das sogenannte Resignationssyndrom gibt es wirklich und Matthew Blake hat es genutzt, um daraus einen sehr besonderen Thriller zu spinnen.
Anna O. ist nicht nur der Titel des Buches. Anna O. ist die Protagonistin, die Hauptfigur in dieser Tragödie und niemand weiß, ob sie Täterin oder Opfer ist. Was genau geschah in jener Nacht, als ihre beiden besten Freunde erstochen wurden und sie mit dem Tatmesser in der Hand in einen jahrelangen Tiefschlaf glitt?
Es ranken sich Mythen und Legenden um den Fall Anna O.
Dr. Benedict Prince, kurz Ben, ist Experte für Schlafmedizin und eine weitere Hauptfigur in diesem Buch. Ben erzählt mir selbst, was er über den Fall Anna O. weiß. Denn ein Teil seiner Vergangenheit ist indirekt mit Anna und der mysteriösen Nacht von vor vier Jahren verknüpft. Nun wird sie als Patientin in The Abbey überstellt. The Abbey ist eine prominente Schlafklinik mit den höchsten Sicherheitsstandards in England.
Ben hat eine Methode ersonnen, wie er Anna helfen kann, auf zu wachen. Und daran ist dem Justizministerium sehr gelegen. Anna soll für die Morde verurteilt werden und das kann nur passieren, wenn sie ihr Bewusstsein wiedererlangt.
Anna O. ist ein Thriller, der langsam und ohne Effekte erzählt wird. Matthew Blake legt viele Brotkrumen dabei aus und vereint verschiedene Perspektiven darin. Bis auf Ben und Anna wird alles vom personalen Erzähler geschildert. Manchmal kühl und distanziert, manchmal mit glühendem Fanatismus. Über allem schwebt Anna O., aber es gesellt sich noch eine andere Komponente dazu. Ein Ereignis, welches 20 Jahre vor den Morden stattfand. Etwas, dass offenbar eng verknüpft mit Anna O. und einigen anderen Charakteren in diesem Buch ist. Doch was genau das sein soll, es erschließt sich mir nicht. Ich schaffe es nicht, diesen einen Faden zugreifen, der das gutgebaute Knäul auflösen kann.
Ja, Anna O. hat mich manchmal ganz schön nah an die Verzweiflung gebracht. Der Thriller ist verdammt ruhig erzählt und bis über die Hälfte des Buches habe ich immer wieder das Gefühl, dass ich auf der Stelle trete. Was ich aber in Wirklichkeit gar nicht mache. Matthew Blake legt auf so geschickte Weise so gut platzierte Wendungen aus, dass ich gar nicht richtig begreife, welches ausgeklügeltes Handlungsgerüst er mit präsentiert.
Ja, bei Anna O. braucht es einen langen Atem. Gerade am Anfang ist es sehr theoretisch und medizinisch. Die Erläuterung des Resignationssyndroms ist umfassend, aber verständlich dargelegt. Ich lerne unterschiedliche Figuren kennen, alles hat eine Bedeutung. Nur langsam erfahre ich, was genau sich in der schicksalhaften Nacht ereignet hat, aber auch, was davor geschah. Was genau passieren musste, damit bestimmte Ereignisse in Gang gesetzt werden konnten. Und was viel wichtiger ist, warum.
Was sich jetzt hier wie ein Buch zum Schlummern anhört, ist es aber nicht. Anna O. ist etwas besonders, das zwar beinah klinisch erzählt, aber nicht minder spannend umgesetzt wird. Matthew Blake braucht kein lautes Tamtam, um mich einzufangen. Mich an diese komplexe Geschichte zu binden, die mir einfach nicht verraten will, wie genau alles zusammenhängt.
Die Spannung nimmt irgendwann mit jeder Seite so zu, dass ich am liebsten immer schneller lesen möchte, um endlich alles zu erfahren. Und dann, gerade als alles so schön schlüssig vor meinen Augen dargelegt wird, schlägt Matthew Blake gnadenlos zu. Mit einem letzten ausgezeichneten und bestechenden Plot Twist zerstört er alles, was ich zu wissen glaubte. Mit offenem Mund lese ich die letzten Seiten und bin fassungslos, wie gnadenlos logisch, perfide und beispiellos brillant dieser Thriller ist.
Fazit:
Anna O. ist ein sehr leiser Thriller. Er braucht Zeit, bis er sich entfaltet hat. Doch dann schlägt er mit einer Perfidität zu, die mich bannt. Erst am Ende ist alles vollständig und offenbart, was für ein genialer Thriller diese Lektüre ist.